Verletzlichkeit im Office — die Stärke, Schwäche zeigen zu können

t3n Backstage Blog
4 min readJul 13, 2022
(Foto: DisobeyArt / Shutterstock)

Stell dir mal ein Großraumbüro vor: ununterbrochen klingelt irgendwo ein Telefon, Menschen eilen von A nach B und — obwohl viel geredet wird — wirkt jeder Einzelne doch irgendwie anonym und einsam. Vielleicht ist es genau deswegen ein Problem, dass wir uns schwertun, uns unseren Kolleg:innen im Büroalltag anzuvertrauen. In den Köpfen vieler gilt im Großraumbüro immer noch das Recht des Stärkeren. Auch im Freundeskreis habe ich schon häufiger Geschichten mitbekommen, bei denen sich Leute zum Weinen in der Bürotoilette versteckt haben. Also: Mitmachen, Ellenbogen raus und bloß keine Schwäche zeigen!

Dabei macht genau dieses Verhalten jedes Office toxisch. Denn in manchen Situationen ist es einfach komplett unmöglich, Stärke zu zeigen — wie ich vor ein paar Monaten gemerkt habe. Innerhalb von zwei Wochen haben gleich zwei Schicksalsschläge mein Leben komplett auf den Kopf gestellt. Doch neben den 1.000 Sinnfragen und “Warums”, die man sich zu solchen Zeiten ohnehin schon stellt, hatte ich auf einmal ein weiteres Problem:
Wie kommuniziere ich meinem Team, dass es mir gerade absolut mies geht?

Natürlich weiß ich, dass t3n nicht dieses eine Klischee-Großraumbüro ist, was ich oben beschrieben habe. Doch solche “gelernten” Vorstellungen haben wir ja auch nicht im Kopf, weil sie aus dem Nichts kommen. Meine Erfahrungen in vergangenen Jobs haben mir gezeigt, dass diese Ellenbogenmentalität trotz netter Kolleg:innen immer noch Realität ist — vor allem in Drucksituationen. Von mir wurde bisher stets erwartet, dass ich funktioniere, schließlich wurde ich auch dafür bezahlt.

Es ist 9:00, ich habe gefühlt seit 4:00 Uhr nicht mehr geschlafen. Ich hoffe meine Augen sind nicht allzu verheult, als ich in das Weekly-Sync Meeting gehe.

“Na, wie war dein Wochenende?”, fragt mich mein Kollege.
Meine Antwort klingt dabei etwas stumpf: “Relativ ereignislos.”
Meine Kollegin kommt dazu und fragt: “Geht es dir denn besser als Donnerstag?”
Ich: “Nicht wirklich…”

Ich fing an zu erzählen. Jetzt war es raus. Mein Kopf erwartete irgendeinen Spruch, der mich zur Arbeit motivieren sollte — wie ich es früher schon einige Male gehört hab: “Komm hab dich nicht so. Dann kannst du dich ja richtig gut mit der Arbeit ablenken!” Doch das kam nicht — im Gegenteil. Meine Kolleg:innen waren verständnisvoll, baten Hilfe an und betonten, dass ich ruhig ne Pause nehmen könne — ich müsse jetzt nicht für die Arbeit performen. In einem späteren Meeting wurde es sogar noch berührender: Statt eine halbe Stunde über die Arbeit zu reden, haben wir uns erzählt, wie es uns gerade geht: also wie es uns WIRKLICH geht. Alle haben sich verletzlich gezeigt und mir im selben Moment Verständnis gegenüber gebracht. Dieses Meeting tat mir unheimlich gut und hat mir extrem geholfen.

Jetzt könnte ich an dieser Stelle sagen, wie toll doch t3n ist, dass wir uns hier im Team verletzlich zeigen können, dass wir auch nach Hause gehen können, wenn es uns mental nicht gut geht. Ich könnte erzählen, dass die Team-Atmosphäre derart toll ist, weil es einen Raum für Fehler, Trauer und Zweifel gibt und man nicht belächelt wird. Ich könnte auch erzählen, dass ich durch diese gute Interaktion im Endeffekt besser arbeiten konnte, als wenn ich nichts gesagt hätte. Doch das wäre am Thema vorbei. Das eigentliche Problem ist, dass viele Arbeitsumfelder nicht so sind und dort Verletzlichkeit und Emotionen als Schwäche gesehen werden. Diese Schwäche hindert einen ja etwas bei der Arbeit — das kann bei der nächsten Gelegenheit zum eigenen Nachteil ausgelegt werden. Und genau dadurch fühlen sich viele Arbeitnehmer:innen unwohl.

Natürlich muss diese Mentalität vom ganzen Team getragen werden. Ein jeder steht etwas in der Verantwortung, eine Atmosphäre zu schaffen, in der es in Ordnung ist Fehler zu machen, sich schlecht zu fühlen und nicht immer zu 100% zu performen. Viel wichtiger ist jedoch, dass dieser Spirit auch von oben kommuniziert wird — und noch viel wichtiger: er wird gelebt. Es wird Zeit dafür, im Office Verständnis für das Gegenüber aufzubringen, zuzuhören und nicht nur auf die Arbeitskraft zu schauen. Denn eigentlich bringt es viele Vorteile, auf der Arbeit auch mal Schwäche zeigen zu können. Zum Beispiel vermittelt es Authentizität. Ich persönlich weiß jetzt, wie gut dieses Verständnis tut. Jetzt träume ich von einer Zukunft, in der sich keiner zum Weinen in der Bürotoilette verstecken muss.

Dieser Beitrag wurde von unserem Mitarbeiter Nils geschrieben. Hier geht’s zu seinem Pioneers-Profil: https://t3n.de/pioneers/profile/nils-bolder/

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