#EndTheStigma: Meine Depression gehört an den Arbeitsplatz

t3n Backstage Blog
6 min readJan 9, 2023
2018 und 2021. „Auf einer Skala von 1 bis 10, wie schlimm ist es?“ — „8.“
Man sieht eine Depression nicht, weil Betroffene sie eben gut maskieren können.

TW: Depression, Panikattacken

„Mittag“, hatte ich im Redaktions-Slack-Channel geschrieben und den Laptop zugeklappt. Dann bekam ich eine leichte Panikattacke. Dann putzte ich mir die Nase, öffnete den Laptop wieder und führte ein Interview.

Eigentlich wollte unser Online-Redaktionsleiter mir nur schnell Feedback zu einem Text geben. Ich hatte mich schon lange bei ihm melden wollen, wusste aber nicht, wie. „Wir müssen mal reden.“ Klingt, als würde ich Schluss machen wollen. „Es geht mir schlecht, kannst du mal telefonieren.“ Ist er mein Therapeut oder so? Nichts erschien mir passend. Also bin ich in unserem Feedback-Call damit herausgeplatzt: „Wo ich dich schon hier habe: Es ist wieder da und es ist schlimm.“

Dass ich mit Depressionen kämpfe und Therapieerfahrung habe, stand in meiner Bewerbung. Die Menschen bei t3n können also nicht behaupten, nicht gewusst zu haben, worauf sie sich einlassen! Aber offen darüber geredet habe ich nicht. Es ist einfacher, das auf einem Blatt Papier zu sagen, als jemandem dabei in die Augen zu sehen. Mich bei jemandem zu melden, als es schlimm wurde, war hart. Ich hatte ja keine Ahnung, wie alle reagieren. Aber am Ende waren alle verständnisvoll, unterstützend und haben es möglich gemacht, dass ich immer noch bei t3n bin.

Ich hatte versucht, frühestmöglich Bescheid zu sagen — nicht nur, weil es mit meiner Performance (gefühlt) massiv bergab ging, sondern auch, damit eventuell Vorbereitungen getroffen werden können. Mit Peer und People & Culture haben wir dann geklärt: Können wir etwas ändern, damit ich bis zum Therapiestart nicht komplett abschmiere? Können wir nach meiner Rückkehr langfristig etwas ändern — Stichwort Stundenreduzierung? Wie lange werde ich ausfallen? Sowohl da als auch bei meiner Rückkehr war ich so krass erleichtert, dass niemand Erklärungen forderte, keine Rechtfertigungen, keine Beteuerungen, dass ich wirklich krank bin. Die Stundenreduzierung war gar kein Problem. (Ich war übrigens sehr nervös, wiederzukommen. Danke an die Redaktion an dieser Stelle!) Aber um Hilfe zu bekommen, musste ich eben erst mal eines tun: reden.

Ohne Behandlung wird’s schlimmer

Das Problem ist: Kann ich nicht offen über meine Krankheit reden und kriege ich keine Hilfe, wird auch meine Depression schleichend schlimmer. Ich habe viel zu lange gewartet, mich zu melden. Meine Kolleg:innen habe ich durch meine verzerrte Depressionsbrille als perfekte Menschen gesehen, die die krassesten Texte in zwei Stunden schreiben, eine healthy Work-Life-Balance wahren und die kreativsten Ideen ever haben. In keinem Leben könnte ich so gut schreiben wie sie! Das ist eine klassische depressive Denkverzerrung, die einsam macht: Alle können das. Nur ich nicht.

Ende Januar habe ich fast jeden Morgen beim Einloggen geheult, einfach weil mir acht Stunden Arbeit unschaffbar erschienen. Ich habe einzelne Wörter verstanden, konnte sie aber durch den Nebel in meinem Gehirn nicht zu Texten zusammensetzen. Ich habe News geschrieben und mich gewundert, was zur Hölle ich da schreibe und woher die letzten zwei Absätze im Dokument kamen. Musste ich in Meetings etwas sagen, hatte ich das Gefühl, ich ersticke. Ich konnte mit niemandem mehr reden, nicht einmal, um mir einen Döner zu holen — ganz ausgezeichnet, wenn du beruflich Interviews führen sollst. Nach der Arbeit habe ich mich ins Bett gelegt und Hörbücher gehört, damit in meinem Kopf mal etwas Schönes passiert. Im Februar hatte ich 150 Stunden Hördauer bei Audible.

„Das haben Sie alles mit Handbremse im Kopf geschafft“

Von März bis Mai war ich elf Wochen in einer Tagesklinik. Neben der medikamentösen Einstellung, Entspannungskursen und dem Bewegungsbad (absoluter Favorit) hatte ich natürlich Gespräche mit einem Psychiater. Der hat mich bei meinem Erstgespräch fast weggeschickt, weil ich zu entspannt dort saß. Das beobachte ich bei mir und meinem Umfeld immer mehr: die extreme Überkompensation. Egal, wie beschissen es dir geht — mit genug Energie kannst du eine ganz fantastische Außenversion von dir selbst bauen, die kompetent und in meinem Fall superfröhlich wirkt. Irgendwann hab ich mich an ein Bild von mir selbst geklammert, das ich nach außen projiziert habe. Ich bin immer gerannt, weil ich in einer Pause hätte merken können, dass ich nicht mehr kann.

Zurück zu meinem Psychiater: Er hat mich beim Thema Selbstwert einen Zeitstrahl malen lassen, was ich alles geschafft hatte. Den sind wir dann durchgegangen. Am Ende hat mein Psychiater mir gesagt: „Das haben Sie alles mit Handbremse im Kopf geschafft. Jetzt überlegen Sie mal, was Sie noch alles machen können, wenn Sie die Handbremse lösen.“

Therapieerfahrung hilft im Job!

Auf dem Marketing Tech Summit habe ich vor Kurzem gemerkt, wie locker die Handbremse sitzt. Ich habe wildfremde Menschen angesprochen, bin mit Kontakten und Artikelideen nach Hause gekommen — und habe dabei sogar Spaß gehabt.

Therapie hat mir geholfen, Abstand von mir und meinen Gedanken zu gewinnen und mich selbst nicht so ernst zu nehmen. Kritik an meinen Texten beispielsweise kann ich Kritik an meinen Texten sein lassen und sie nicht persönlich nehmen. In meinem Fall ist Arbeitskritik auch eine unerhebliche Relation: Wenn dir mal jemand alle deine intimsten Gedankengänge zerlegt hat, ist Kritik an einem Text ein Witz dagegen. Ich bin sowieso dafür, dass einfach jede:r zur Therapie geht. Fast jede Erfahrung, die man nicht ausreichend sortiert kriegt, kann im Job eskalieren.

Therapie hilft mir auch zu verstehen: Meine Depression ist nicht nur schlecht. Ich glaube, ohne sie wäre ich ein unsensibler, egoistischer Ellenbogenmensch geworden. Ich weiß jetzt, wie es ist, wenn man in diesem Loch sitzt, und wie sich Einsamkeit anfühlt. Das hat mich hilfsbereit gemacht.

Es geht um dich, nicht um mich!

Mein Punkt ist nicht, dass Redakteurin Kramer ganz tapfer ihre Depression besiegt hat und alles wird gut. Backt ihr mal jemand ’ne Torte?

Mir geht es zum einen um Entdramatisierung: Wenn man früher von Depressionen gehört hat, dann als Todesursache — beispielsweise bei Robert Enke oder Robin Williams. Promis wie Moritz Neumeier und Kurt Krömer erzählen öffentlich von ihrer Depression und zeigen, dass sie heilbar ist. Viel Liebe, aber sie haben einen so speziellen Beruf, dass ich nie mit ihnen vergleichen konnte. Ich bin irgendeine Angestellte XY in einer mittelgroßen Firma Z, ein klassischer Durchschnittsmensch. Ich will zeigen: Das kann funktionieren. Es ist möglich zu sagen, dass du krank bist, es ist möglich, Hilfe zu kriegen, und es ist als Firma möglich, damit umzugehen.

Sicherlich läuft das nicht überall so glatt wie hier. Aber leider Gottes sind es immer die Betroffenen, die laut werden und Wirbel machen müssen, damit sich etwas ändert. „Ich will nicht für ein Unternehmen arbeiten, das mich wegen der Depression gar nicht erst einstellt“ — so was stand in meiner Bewerbung, und so war das auch gemeint. Wir müssen aus der Deckung kommen, damit alle Unternehmen endlich checken, dass es diese reibungslos funktionierenden Maschinen, von denen sie als Arbeitnehmende träumen, einfach nicht gibt. Damit sie verstehen, dass von den 16 bis 20 Prozent der Deutschen, die depressiv sind, ganz sicher welche bei ihnen gelandet sind.

Zum anderen gibt es vielleicht jemanden da draußen, der oder die sich einsam fühlt. Das ist in meinen Augen das schlimmste Symptom: dieses erdrosselnde Gefühl der Einsamkeit, dass alle anderen an einem vorbeiziehen, dass sie alles ohne mich erleben, selbst, wenn ich dabei bin, und dass mich ohnehin niemand verstehen kann. Aber du bist nicht allein — das merkst du leider erst, wenn du dich öffnest und feststellst, dass einige Bekannte ganz ähnliche Geschichten haben. Wenn ich damit offen bin, hilft das ja vielleicht schon irgendwem. Meine Tür ist offen. Komm durch. Im Idealfall meldet ihr euch direkt bei Peer oder People & Culture, die Mittel und Befugnis haben, dich in deiner Situation zu unterstützen. Aber wenn du (egal, ob du bei t3n bist oder nicht) reden willst, jemanden zum Zuhören brauchst, oder hören willst, wie das bei mir lief — schreib mir und wir sprechen darüber. Ganz unter uns, einfach nur als emotionaler Support. Du bist nicht allein.

Dieser Beitrag wurde von unserer Mitarbeiterin Josefine geschrieben. Hier geht’s zu ihrem Pioneers Profil: https://t3n.de/pioneers/profile/josefine-kramer/

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